22.11.2023
Pressevertreter: Hat Anspruch auf Einsicht in Ermittlungsakten zu Mord an Verwandten von Albert Einstein
Die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) muss einem Pressevertreter Einsicht in die Ermittlungsakte zu den Umständen der Ermordung der Familie von Robert Einstein während des Zweiten Weltkriegs durch deutsche Soldaten gewähren. Dies hat das Verwaltungsgericht (VG) Neustadt an der Weinstraße entschieden.
Die Morde an der Ehefrau und den beiden Töchtern von Robert Einstein, einem Cousin von Albert Einstein, im August 1944 in der Nähe von Florenz waren Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft, das sich gegen einen ehemaligen Hauptmann und weitere Angehörige einer bestimmten Wehrmachtseinheit richtete. Das Verfahren wurde 2014 mit der Begründung eingestellt, dass kein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten bestehe.
Der britische Journalist und Schriftsteller Thomas Harding begehrte Einblick in die Ermittlungsakten, was die Staatsanwaltschaft ihm versagte. Die Akten enthielten eine Unmenge an personenbezogenen Daten, deren ausreichende Bereinigung mit vertretbarem Aufwand nicht möglich sei, so die Begründung.
Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Harding könne nach dem Landesmediengesetz Einsicht in die Akten beanspruchen. Danach seien Behörden verpflichtet, der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienenden Auskünfte zu erteilen. Dies gelte auch für Staatsanwaltschaften, so das VG.
Obwohl es sich um ein bereits vor fast zehn Jahren abgeschlossenes Verfahren handele, bestehe an der Presserecherche aufgrund der historischen Dimension der strafrechtlichen Aufarbeitung von Verbrechen aus der NS-Zeit weiterhin ein herausgehobenes öffentliches Interesse. Die Art und Weise und damit auch die Form der Auskunft liege im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde und erfolge in der Regel durch Beantwortung konkreter Fragen. Ein Anspruch auf Akteneinsicht bestehe nur in Ausnahmefällen. Aufgrund des herausragenden Gewichts des von Harding in Anspruch genommenen öffentlichen Interesses sei diese im konkreten Fall aber zu gewähren. Aufgrund der Komplexität des Ereignisses sei allein die Sichtung der Akten geeignet, den Sachverhalt einschätzen und zu verstehen. Dies gelte auch für die Umstände der Verfahrenseinstellung im Jahr 2014.
Schutzwürdige private Interessen stünden der Einsichtnahme nicht entgegen. In Bezug auf persönliche Daten von verstorbenen und noch lebenden Soldaten gelte dies sowohl in Bezug auf eine Namensnennung als auch für die Gefahr der De-Anonymisierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Truppeneinheit und der Angabe eines bestimmten Dienstgrades, so das VG. Dabei sei zu berücksichtigen, dass nach den Feststellungen der Staatsanwaltschaft kein Anfangsverdacht für ein strafbares Verhalten bestanden habe. Dass die Namen der Soldaten der untersuchten konkreten Truppeneinheiten aus der Akte ersichtlich beziehungsweise ermittelbar seien, betreffe lediglich Tatsachen und sei nicht dazu geeignet, ihr Lebensbild zu verfälschen.
Bei der Zugehörigkeit zu einer Truppeneinheit handele es sich um einen Umstand, der auf den weit überwiegenden Teil der im Zweiten Weltkrieg wehrdienstpflichtigen Jahrgänge zutreffe. Dem müssten sich auch eingedenk der von der Wehrmacht begangenen Kriegsverbrechen sämtliche Soldaten stellen. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten sei auch nicht zu befürchten, dass die Verwandten der Soldaten von der Weltpresse in Sippenhaft genommen würden. Die Daten von Zeugen seien ohnehin unkenntlich zu machen. Die Gefahr einer De-Anonymisierung sei dabei insbesondere bei Familienangehörigen oder sonstigen Bezugspersonen von Soldaten äußerst gering.
Der Umfang der begehrten Einsichtnahme überschreite auch nicht das zumutbare Maß. Der Aufwand zur Unkenntlichmachung der in den Ermittlungsakten enthaltenen persönlichen Daten sei aufgrund des überragenden öffentlichen Interesses an der historischen Aufarbeitung der Morde an der Familie Einstein gerechtfertigt. Dem konkreten Verfahren komme nicht zuletzt eine hohe Symbolkraft im Hinblick auf zahlreiche weitere Verbrechen der Wehrmacht in Italien zu, deren Opfer in der Öffentlichkeit namenlos geblieben seien. Auch international bestehe ein sehr hohes gesamtgesellschaftliches Interesse daran, die Vorgehensweise der Justizbehörden beim Versuch der Aufarbeitung von Wehrmachtsverbrechen am konkreten Beispiel transparent zu machen.
Gegen das Urteil kann Antrag auf Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz gestellt werden.
Verwaltungsgericht Neustadt, Urteil vom 07.11.2023, 5 K 75/23.NW, nicht rechtskräftig