16.11.2023
Angriff auf dem Weg zu Blutzuckermessgerät: Nicht unfallversichert
Die gesetzliche Unfallversicherung ist nicht einstandspflichtig, wenn eine (nicht erwerbsmäßig tätige) Pflegeperson beim Holen eines Blutzuckermessgeräts für den Pflegebedürftigen Opfer eines Angriffs wird. Dies hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg entschieden.
Der Kläger lebte zusammen mit seinem Lebensgefährten in einer gemeinsamen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in Berlin. Der Lebensgefährte war pflegebedürftig, unter anderem aufgrund eines insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Der Kläger pflegte ihn.
In einer Nacht Ende Mai 2018 verließ der Kläger die Wohnung. Im Hausflur wurde er nach einer kurzen verbalen Auseinandersetzung von zwei Jugendlichen angegriffen. Hierbei erlitt er eine Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefers sowie ein Schädelhirntrauma. Die Jugendlichen stammten aus einer betreuten Wohngemeinschaft, die sich im selben Haus befand. Sie wurden wegen (gefährlicher) Körperverletzung verurteilt.
Der Kläger wandte sich nach dem Vorfall an die Unfallkasse Berlin als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung. Er gab an, sich zum Zeitpunkt des Angriffs auf dem Weg zum Auto befunden zu haben, um dort das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen. Die Unfallkasse Berlin lehnte es ab, das Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Die hiergegen gerichtete Klage hatte weder in erster noch in zweiter Instanz Erfolg.
Das LSG sieht in dem Ereignis vom Mai 2018 keinen Arbeitsunfall. Der Kläger gehöre als nicht erwerbsmäßig tätige Pflegeperson zwar zum Kreis derjenigen Personen, die kraft Gesetzes unfallversichert seien. Auch sei sein Gang aus der Wohnung zum Auto als "Betriebsweg" der pflegerischen Tätigkeit zuzurechnen. Die Angabe des Klägers, er habe die Wohnung verlassen, um das Blutzuckermessgerät für seinen Lebensgefährten zu holen, könne insoweit als wahr unterstellt werden.
Gleichwohl sei die gesetzliche Unfallversicherung hier nicht einstandspflichtig. Denn mit dem Angriff auf den Kläger habe sich kein Risiko verwirklicht, gegen dessen Eintritt der hier einschlägige Unfallversicherungstatbestand schützen solle. Nicht jeder körperliche Angriff auf einem Betriebsweg falle unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Versicherungsschutz sei ausgeschlossen, wenn der Angreifer aus persönlicher Feindschaft oder aufgrund von ähnlichen, aus privaten Beziehungen stammenden Beweggründen handle. So liege der Fall hier.
Aus den polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten ergebe sich, dass der Kläger seine Wohnung in der Nacht im Mai 2018 (auch) verlassen habe, um die Jugendlichen zur Rede zu stellen, nachdem ihm deren "merkwürdiges Verhalten am Fahrstuhl" aufgefallen sei. Bereits zuvor sei es zu erheblichen Konflikten zwischen dem Kläger beziehungsweise seinem Lebensgefährten und den in der Wohngemeinschaft betreuten Jugendlichen gekommen. In der Nacht im Mai 2018 sei Gegenstand des Streits eine Verschmutzung des Fahrstuhls mit weißer Farbe gewesen, für deren Verursachung die Jugendlichen den Kläger verantwortlich machen wollten. Der Kläger sei nicht Opfer der Körperverletzung geworden, weil er sich gerade auf dem Weg zum Auto (und damit zum Blutzuckermessgerät) befunden habe. Vielmehr sei wesentliche Ursache des Angriffs der vorbestehende persönliche Konflikt gewesen.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Kläger kann beim Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.
Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.11.2023, L 21 U 85/21, nicht rechtskräftig