26.10.2023
Unfall beim Kolonnenspringen: Begründet Haftung beider Unfallbeteiligter
Überholen darf nur, wer eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer vollständig ausschließen kann. Das ist beim Überholen einer Kolonne (hier hinter einem Traktor) oft nicht einfach. Kommt es beim Kolonnenspringen zu einem Unfall, zahlen in der Regel beide Unfallbeteiligte. Dies geht aus einem Urteil des Landgerichts (LG) Lübeck hervor.
Auf einer Landstraße hatte sich hinter einem Traktor eine Kolonne gebildet. Am Ende der Kolonne fuhr der Kläger und vor ihm noch zwei weitere Autos. Nachdem ein Überholverbot endete, begann der Kläger, die Kolonne von hinten links zu überholen. Als er schon auf der Höhe des Wagens direkt hinter dem Traktor war, scherte dessen Fahrerin ebenfalls zum Überholen aus. Der Kläger versuchte noch auszuweichen, schrammte aber letztlich aufgrund des Manövers am Traktor entlang. Es entstanden erhebliche Schäden.
Das Gericht legte seiner Entscheidung zugrunde, dass die ausscherende Fahrerin nach § 7 Absatz 5 der Straßenverkehrsordnung nur hätte Überholen dürfen, wenn die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen gewesen wäre. Die Fahrerin habe dies aber nicht beweisen können. Bereits der Umstand, dass es zu dem Unfall gekommen sei, spreche dafür, dass sie gerade nicht gut genug aufgepasst habe.
Der Kläger hingegen habe die Kolonne grundsätzlich überholen dürfen. Zwar gelte die Regel, dass bei "unklarer Verkehrslage" nicht überholt werden dürfe. Davon sei aber nur auszugehen, wenn sich für den nachfolgenden Fahrer nicht sicher beurteilen lasse, was der Vorausfahrende jetzt gleich tun werde. Hier sei jedoch nichts unklar gewesen. Nicht jede Kolonne sei per se eine "unklare Verkehrslage". Auch sonst seien keine Umstände feststellbar gewesen, die gegen einen Überholversuch gesprochen hätten.
Trotzdem müsse sich der Kläger an dem Schaden beteiligen. Der Unfall sei auch für ihn nicht völlig unvermeidbar gewesen. Auch wenn das Überholen einer Kolonne nicht verboten sei, hätte ein "Idealfahrer" dies angesichts der damit verbundenen Selbst- und Fremdgefährdung unterlassen (so auch Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 08.06.2022, 14 U 118/21). Die generelle Haftung eines Autofahrers (die so genannte Betriebsgefahr) entfalle daher nicht völlig.
Im Ergebnis musste die ausscherende Fahrerin 80 Prozent und der Kläger 20 Prozent des Schadens tragen.
Landgericht Lübeck, Urteil vom 28.07.2023, 9 O 27/21, rechtskräftig