19.10.2023
Nächtliches Urinieren am Meeressaum: Geldbuße nicht berechtigt
"Wat mutt, datt mutt", dachte sich wohl ein Besucher der diesjährigen Travemünder Woche und urinierte kurz nach Mitternacht in die Fluten der Ostsee. Beobachtet wurde er dabei von Mitarbeitenden des Ordnungsamtes, die dafür eine Geldbuße von 60 Euro verhängten – zu Unrecht, wie das Amtsgericht (AG) Lübeck entschied.
Der Amtsrichter zeigte Verständnis für das natürliche Bedürfnis und führte aus, es sei schon nicht ersichtlich, ob außer den Mitarbeitenden des Ordnungsamtes andere Personen den Vorgang beobachtet hätten. Und selbst wenn: Auch auf öffentlichen Herrentoiletten finde "an durchgehenden Pissoirs, an Rinnen oder sonstigen offenen Abtritten das gesellige Wasserlassen statt".
Auch die Verletzung des Schamgefühls von Strandbesucherinnen sei nicht zu befürchten, so das AG. Denn ein Wasserlassen in der Natur sei "bei Wanderungen, bei Arbeiten in Feld und Flur, bei Jägern und Pilzsammlern, bei Radsportlern und Radtourlern, bei Badenden an Seen und Flüssen und bei sonstigen naturnahen Beschäftigungen gesellschaftlich akzeptiert." Dass es am Spülsaum der Ostsee, anders als in den Bergen und an Waldrändern, keine weiteren Möglichkeiten zum Rückzug gebe, als sich schlicht umzudrehen, könne sich nicht zum Nachteil des Mannes auswirken. Denn: "So ist es halt an der Küste."
Auch eine Verschmutzung oder Geruchsbeeinträchtigung sei nicht zu befürchten, rechnet der Richter vor: "Die Ostsee enthält eine Wassermenge von 21.631 Kubikkilometern Brackwasser. Der Verdünnungsgrad wäre selbst im Wiederholungs- oder Nachahmungsfall so hoch, dass eine belästigende Verschmutzung oder Geruchsbeeinträchtigung ausgeschlossen ist." Es folgte ein Freispruch.
Amtsgericht Lübeck, Urteil vom 29.06.2023, 83a OWi 739 Js 4140/23 jug., rechtskräftig