19.10.2023
Arbeit auf Abruf: Wöchentliche Arbeitszeit beträgt grundsätzlich 20 Stunden
Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer Arbeit auf Abruf, legen aber die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht fest, gilt grundsätzlich nach § 12 Absatz 1 Satz 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eine Arbeitszeit von 20 Stunden wöchentlich als vereinbart. Eine Abweichung davon kann laut Bundesarbeitsgericht (BAG) im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann angenommen werden, wenn die gesetzliche Regelung nicht sachgerecht ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, die Parteien hätten bei Vertragsschluss übereinstimmend eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit gewollt.
Die Klägerin ist seit 2009 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Druckindustrie, als Abrufkraft beschäftigt. Der Arbeitsvertrag regelt die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit nicht. Die Klägerin wurde nach Bedarf in unterschiedlichem zeitlichem Umfang zur Arbeit herangezogen. Ab 2020 verringerte sich der Umfang des Abrufs ihrer Arbeitsleistung im Vergleich zu den unmittelbar vorangegangenen Jahren. Die Klägerin machte geltend, die in den Jahren 2017 bis 2019 monatlich abgerufene Arbeitszeit sei die nunmehr geschuldete und von der Beklagten zu vergütende. Soweit der Abruf ihrer Arbeitsleistung in den Jahren 2020 und 2021 diesen Umfang nicht erreichte, hat sie Vergütung wegen Annahmeverzugs verlangt.
Das Arbeitsgericht hat, ausgehend von der gesetzlichen Regelung des § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG angenommen, die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit im Abrufarbeitsverhältnis der Parteien betrage 20 Stunden. Es hat deshalb der Klage auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung nur in geringem Umfang insoweit stattgegeben, als in einzelnen Wochen der Abruf der Arbeitsleistung der Klägerin 20 Stunden unterschritten hatte. Weder die dagegen gerichtete Berufung noch die Revision der Klägerin hatte Erfolg.
Vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall zu erbringen hat (Arbeit auf Abruf), müssten sie nach § 12 Absatz 1 Satz 2 TzBfG arbeitsvertraglich eine bestimmte Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit festlegen. Unterlassen sie das, schließe § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG diese Reglungslücke, indem kraft Gesetzes eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart gilt, so das BAG.
Eine davon abweichende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit könne im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur dann angenommen werden, wenn die Fiktion des § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung ist und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hätten bei Vertragsschluss bei Kenntnis der Regelungslücke eine andere Bestimmung getroffen und eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart. Für eine solche Annahme habe die Klägerin jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen.
Wird die anfängliche arbeitsvertragliche Lücke zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Beginn des Arbeitsverhältnisses durch die gesetzliche Fiktion des § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG geschlossen, könnten die Parteien in der Folgezeit ausdrücklich oder konkludent eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren. Dafür reiche aber das Abrufverhalten des Arbeitgebers in einem bestimmten, lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses liegenden und scheinbar willkürlich gegriffenen Zeitraum nicht aus, so das BAG. Allein dem Abrufverhalten des Arbeitgebers komme ein rechtsgeschäftlicher Erklärungswert dahingehend, er wolle sich für alle Zukunft an eine von § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG abweichende höhere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit binden, nicht zu. Ebenso wenig rechtfertige allein die Bereitschaft des Arbeitnehmers, in einem bestimmten Zeitraum mehr als nach § 12 Absatz 1 Satz 3 TzBfG geschuldet zu arbeiten, die Annahme, der Arbeitnehmer wolle sich dauerhaft in einem höheren zeitlichen Umfang als gesetzlich vorgesehen binden.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.10.2023, 5 AZR 22/23