22.05.2023
Vereinsverbot: Beschlagnahme und Einziehung des Grundstücks eines Dritten setzt Vorsatz voraus
Eine mit einer vereinsrechtlichen Verbotsverfügung verbundene Beschlagnahme- und Einziehungsanordnung in Bezug auf die Sache eines Dritten, der durch ihre Überlassung an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen gefördert hat, setzt voraus, dass der Dritte vorsätzlich gehandelt hat. Der Vorsatz muss sich auf alle objektiven Merkmale, also auch auf die Überlassung an einen Verein beziehen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entschieden.
Die Klägerin wandte sich gegen die Beschlagnahme und Einziehung ihres mit einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude bebauten Grundstücks im Rahmen eines Vereinsverbots. Mit Bescheid vom 02.07.2014 stellte das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr fest, dass das "Freie Netz Süd“ eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung "Fränkische Aktionsfront“ sei, verbot die Vereinigung und löste sie auf. Die Behörde beschlagnahmte hierbei zugleich das dem Verein von der Klägerin überlassene Grundstück und ordnete dessen Einziehung zugunsten des Freistaats Bayern an.
Das Verwaltungsgericht hat die gegen die Beschlagnahme und Einziehung des Grundstücks gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beide Anordnungen aufgehoben, da jedenfalls der Nachweis fehle, dass der Vorsatz der Klägerin auch die Vereinseigenschaft des "Freien Netzes Süd" umfasst habe. Die hiergegen eingelegte Revision des Freistaats Bayern ist vor dem BVerwG erfolglos geblieben.
Nach dem Vereinsgesetz (VereinsG) sei mit einem Vereinsverbot in der Regel die Beschlagnahme und die Einziehung von Sachen Dritter zu verbinden, soweit der Berechtigte durch die Überlassung der Sachen an den Verein dessen verfassungswidrige Bestrebungen vorsätzlich gefördert hat. Diese Rechtsgrundlage sei hier anzuwenden, da das betroffene Grundstück im Eigentum der Klägerin als Dritter stehe und nicht als Vereinsvermögen im Sinne des VereinsG anzusehen sei. Zwar sei das Vereinsvermögen nicht zivilrechtlich, sondern wirtschaftlich und damit weit zu verstehen, so das BVerwG. Maßgeblich sei das tatsächliche Herrschaftsverhältnis im Sinne eines Vereinsgewahrsams. Ausgenommen vom Begriff des Vereinsvermögens seien jedoch Sachen im Eigentum Dritter.
Zu Recht habe das Berufungsgericht sämtliche Merkmale des objektiven Tatbestandes als Bezugspunkt des Vorsatzes angesehen. Insbesondere müsse sich der Vorsatz des Dritten auch darauf beziehen, dass die Überlassung seiner Sache an den Verein dessen verbotswürdige Tätigkeit gefördert hat. Dies erfordert laut BVerwG, dass er bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre um die Existenz dieser Vereinigung und ihrer verfassungswidrigen Bestrebungen weiß und deren Förderung zumindest billigend in Kauf nimmt.
Ausgehend von diesem zutreffend erkannten Maßstab habe das Berufungsgericht nach Anhörung der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, ihr fehle das Wissen, dass sie das Grundstück an das "Freie Netz Süd" als Verein überlassen habe. Denn sie habe keine zumindest laienhafte Vorstellung davon entwickelt, dass die verfassungswidrigen Aktivitäten in organisierter Form von einem Verein im Sinne des VereinsG vorgenommen worden seien. An diese Tatsachenfeststellung sei das BVerwG mangels vom Beklagten erhobener Verfahrensrügen gebunden.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17.05.2023, BVerwG 6 C 5.21