19.05.2023
Aktive Nutzungspflicht des beSt: Besteht frühestens nach Abschluss erstmaligen "System-Roll outs"
Eine am 09.02.2023 von der Steuerberaterin der Kläger per Telefax übermittelte Klage ist formwirksam erhoben worden, obwohl die Steuerberaterin ihren "Registrierungsbrief" mit den Zugangsdaten für das so genannte besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) bereits am 05.01.2023 erhalten hatte. Dies hält das Finanzgericht (FG) Niedersachsen fest. Eine aktive Nutzungspflicht des beSt bestehe erst mit Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" des beSt. Hierbei erscheine es angemessen, auf den Zeitpunkt der Versendung der "letzten" Registrierungsbriefe im Rahmen des erstmaligen System-Roll-outs zuzüglich einer angemessenen Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt abzustellen. Erst mit Abschluss des erstmaligen "System-Roll-outs" stehe der sichere Übertragungsweg "zur Verfügung" (§ 52d Satz 2 Finanzgrichtsordnung – FGO).
Damit tritt der 9. Senats des FG Niedersachsen der im Gerichtsbescheid vom 7. Senat des Niedersächsischen FG vom 20.03.2023 (7 K 183/22) vertretenen Auffassung ebenso entgegen wie der von dem Bundesfinanzhof mit zwischenzeitlich ergangenem Beschluss vom 28.04.2023 (IX B 101/22) vertretenen Auffassung. Der 9. Senat begründet dies mit der Gesetzessystematik der betroffenen Regelungen sowie mit verfassungsrechtlichen Erwägungen.
Wie das obiter dictum des Hessischen FG in seinem Beschluss vom 21.03.2023 (10 V 67/23) und der zwischenzeitlich veröffentlichte Zwischengerichtsbescheid des FG Münster (ebenfalls vom 14.04.2023, 7 K 86/23 E) ziehe auch die Entscheidung des 9. Senats eine Verbindung zwischen dem "Zur-Verfügung-Stehen" im Sinne des § 52d Satz 2 FGO und der gesetzlichen Verpflichtung der Bundessteuerberaterkammer zur Einrichtung des beSt. Anders als das Hessische FG und das FG Münster unterscheide der 9. Senat des Niedersächsischen FG dabei jedoch begrifflich zwischen der "Errichtung" des elektronischen Postfachs im Sinne des von § 52d Satz 2 FGO in Bezug genommenen § 52a Absatz 4 Satz 1 Nr. 2 FGO und der "Einrichtung" des beSt im Sinne des § 86d Absatz 1 Satz 1 Steuerberatungsgesetz. Dementsprechend verstehe er das Tatbestandsmerkmal des "Zur-Verfügung-Stehens" nicht personen-, sondern infrastrukturbezogen. Zur Begründung führt der 9. Senat neben einem Verweis auf die Gesetzessystematik unter anderem an, dass eine derart verstandene Auslegung des Tatbestandsmerkmals des "Zur-Verfügung-Stehens" dem auf Förderung der Prozessökonomie gerichteten Gesetzeszweck besser entspreche.
Ähnlich wie auch das FG Münster hält der 9. Senat das so genannte Fast Lane-Verfahren für ungeeignet, um eine frühere, bereits mit Ablauf des 31.12.2022 beginnende aktive Nutzungspflicht zu begründen. Der (künftig) Nutzungsverpflichtete habe die mit der Einrichtung und Nutzungspflicht des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs einhergehenden Beschränkungen seiner Freiheit zu dulden. Ihn treffe indes – insbesondere ohne entsprechende gesetzliche Grundlage – keine Obliegenheit, sich an dessen Einrichtung abweichend von der diesbezüglich gesetzlich geregelten Aufgabenverteilung durch einen Antrag im "Fast Lane"-Verfahren zu beteiligen.
Mangels Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall konnte der 9. Senat offenlassen, ob die Frist zur unverzüglichen technischen Einrichtung des beSt unter Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 56 Absatz 2 FGO mit zwei Wochen zu bemessen ist, die "Errichtung" des beSt damit mit Ablauf des 31.03.2023 abgeschlossen ist und der "sichere Übermittlungsweg" seit diesem Zeitpunkt auch "zur Verfügung" steht.
Gegen den Zwischengerichtbescheid wurde Revision bei dem Bundesfinanzhof eingelegt.
Finanzgericht Niedersachsen, Zwischengerichtsbescheid vom 14.04.2023, 9 K 10/23, nicht rechtskräftig